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Zum Stellenwert alternativer Transplantationsverfahren

Die wachsende Bedeutung der Knochenmarktransplantation ist nicht nur durch stetig zunehmende Transplantationszahlen belegt. Die Erfolgsrate der Therapie von Leukämien und schweren aplastischen Anämien hat sich in den letzten 30 Jahren deutlich erhöht. Den gößten Anteil an dieser Entwicklung hat gewiß die allogene Knochenmarktransplantation.

Aber trotz einer immer größeren Zahl von freiwilligen Knochenmark- und Stammzellspendern, die in den Spenderdateien registriert sind, kann für einen Teil der Patienten kein HLA-identischer Spender gefunden werden. Für diese Patienten werden neue Transplantatquellen erschlossen, sogenannte "alternative" Transplantationsverfahren gesucht.

Warum ist die Übereinstimmung im HLA-System aber von entscheidender Bedeutung? Eiweiße auf den Zellen aller Organismen tragen Merkmalen, die für jedes Individuum spezifisch sind. Auf menschlichen weißen Blutzellen, den Leukozyten, wurden Mitte der 60iger Jahre Eiweiß- oder Antigenstrukturen gefunden, die für die immunologische Individualität eines Organismus kennzeichnend sind. Sie sind typisch für einen Menschen. Deshalb heißen diese Merkmale leukozytäre Antigene (human leukocyte antigen) - HLA und bilden ein System, in dem Klasse l und Klasse ll Merkmale unterschieden wurden und die Buchstaben A, B, C und D erhielten. In der Klasse ll unterscheidet man DRB1-4, DQ und DP. Andere Merkmale sind beschrieben (z.B. der Klasse lll, oder sogenannte "kleine"- minor- Merkmale HLA1-5), spielen aber bisher in der medizinischen Praxis keine Rolle.

Jeder Mensch hat 2 Eiweiße von jedem Merkmal auf den Zelloberflächen. Errechnet man alle Möglichkeiten der Kombination dieser Membranproteine, kommt man auf eine Zahl zwischen 100.000 und 1.000.000. Das heißt, daß die Wahrscheinlichkeit, einen HLA-identischen Spender zu finden, dementsprechend gering ist. Überhaupt ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Spendersuche die Existenz großer Spenderdateien, in die sich möglichst viele freiwillige Knochenmarkspender eingetragen haben. Bestimmte Kombinationen der HLA-Merkmale sind sehr selten. Einen Spender für einen Patienten mit solch einem HLA-Typ zu finden, ist praktisch ausgeschlossen.

Es werden heute Transplantationen durchgeführt, wenn alle typisierten HLA-Merkmale identisch sind oder wenn maximal ein Eiweiß sich unterscheidet. Dieser Unterschied heißt HLA-Mismatch.

Für den Verlauf der Transplantation ist die Übereinstimmung der HLA-Merkmale von großer Bedeutung. Bei Nichtübereinstimmung wird das Transplantat trotz der medikamentösen Unterdrückung der Wirt-gegen-Transplantat (host versus graft = HvG) oder Transplantat-gegen-Wirt Reaktionen (graft versus host disease = GvHD) nicht anwachsen können und abgestoßen werden (Transplantatversagen oder graft failure). Im Falle eines Anwachsens (engraftment) können die Immunzellen des neuen Knochenmarkes gegen den Empfänger aktiv werden und Entzündungen in den Deckgeweben (Haut und Schleimhäute und ihnen verwandte Organe wie zum Beispiel die Leber) hervorrufen. Ein schwerer Verlauf der Transplantat-gegen-Wirt Reaktion (GvHD) kann zu tödlichen Komplikationen führen, wie beispielweise einem Leberversagen. Ausgelöst werden Entzündungen im Rahmen der GvHD durch T-Lymphozyten oder ihnen funktionell nahestehende Immunzellen, die die leukozytären Antigene als fremde (= andere) erkennen und damit die sie tragenden Zellen als "Feinde", die es zu vernichten gilt.

Nun hat das Immunsystem jedes Organismus einen langen Lernprozeß hinter sich, der besonders im 1.Lebensjahr sehr intensiv ist, zum 7. Lebensjahr in den Grundzügen abgeschlossen wird und nach Erreichen des Erwachsenenalters nicht mehr stattfindet. Dieser Prozeß ist die Entwicklung der (Immun-) Toleranz. Nach jeder Transplantation blutbildender Stammzellen durchlaufen die transplantierten Zellen erneut eine Toleranzentwicklung: die zunächst notwendige hohe Dosis der Medikamente, die die Abstoßung und GvHD hemmen, kann langsam reduziert werden, ohne daß es zu einer Reaktion der Immunzellen gegen die Wirtszellen kommt. Meist spätesten nach einem Jahr können Prednisolon und Cyclosporin A als wichtigste Immunsuppressiva abgesetzt werden. Das Transplantat akzeptiert den Patienten.

Theoretisch ist es denkbar, sehr junge Immunzellen zu transplantieren und den Toleranzentwicklungsprozeß ganz in den Patientenorganismus zu verlagern. Da die Blutbildung im Embryo in der 12. Woche einsetzt, könnten ab diesem Zeitpunkt Stammzellen gewonnen und übertragen werden. Praktisch ist gegenwärtig der früheste Zeitpunkt der Entnahme eines Transplantates die Geburt. Eine bedeutende Entdeckung gewährleistete, daß die Gewinnung auch ohne Schaden für Mutter und Kind möglich wurde: im Blut der Nabelschnurvene ist der Gehalt der Stammzellen sehr hoch, ja fast höher als im Knochenmark. Ihre Gewinnung findet natürlich erst nach der Durchtrennung der Nabelschnur statt und bleibt damit ohne Einfluß auf Kind und Mutter. Während der Punktion der Nabelschnurvenen gelingt es erfahrenen Hebammen 150 ml und manchmal auch mehr Blut zu gewinnen. Der Haken der Sache liegt in der geringen Stammzellzahl absolut. Da für eine Transplantation 2 Millionen Stammzellen pro Kilogramm Körpergewicht des Patienten benötigt werden, sind bis heute fast nur Kinder bis 40 kg transplantiert worden. Und wirklich bestätigt sich die Annahme: die GvHD ist vermindert, Abstoßungen selten. Die Toleranzentwicklung wird in den Patienten "verlegt".

Eine Lösung des Problems der zu geringen Zellzahl ist in der ex vivo Expansion der Stammzellen zu suchen. Die Stammzellen werden hierzu in Zellkulturflaschen gegeben und zur Vermehrung angeregt. Im Experiment gelingt zumeist die Züchtung der Zellen und die "Ernte" von mehr Stammzellen, als ursprünglich "eingesät" wurden. Für die Anwendung am Patienten steht diese Methode noch nicht zur Verfügung.

Zunächst ist damit diese Transplantation nur Kindern und jungen Erwachsenen vorbehalten. Grundlage der Durchführung der Nabelschnurblut-Transplantationen waren die Nabelschnurblutbanken. In Europa sind die Dateien im EUROCORD vernetzt. Immer mehr werdende Mütter erklären sich bereit, das Nabelschnurblut zu spenden und einfrieren zu lassen. Nur in seltenen Fällen möchten sie es als "Versicherung" für die eigenen Familienmitglieder, besonders die Kinder. Häufiger geben sie das Transplantat frei.

Eine andere Möglichkeit der Gewinnung von ausreichend blutbildenden Stammzellen zur Transplantation bei Nichtvorhandensein eines HLA-identischen Familien- oder Fremdspenders ist die Transplantation von HLA-haploidentischen Stammzellen. Haploidentische oder "halb"-identische Spender haben alle Menschen: es sind die Eltern. Jeweils ein HLA-Merkmal vererbt der Vater und eines die Mutter. Damit erklärt sich die "halbe" Übereinstimmung. Es liegen also bei Typisierung der Klasse l Merkmale (A und B) und der Klasse ll Merkmale (DR) 3 Mismatche vor. Wissenschaftler und Ärzte aus Israel und Italien haben im Herbst 1998 einen Artikel publiziert, in dem erste Erfahrungen mit solchen "haploidentischen" Transplantationen geschildert werden. Die Ergebnisse waren bei etwa 40 Transplantatierten zwar besser als erwartet, aber dennoch besteht kein Grund zur Euphorie. Die wichtigste Schlußfolgerung heute ist: für bestimmte Patienten, meist Kinder, stellt die Möglichkeit der Transplantation von Stammzellen von einem Elternteil eine neue therapeutische Option dar. Die klinische Anwendung setzt ein erfahrenes Transplantationsteam voraus, das zudem über verschiedene Methoden der Zellaufreinigung verfügt. Das Transplantat besteht letzendlich nur noch aus den Stammzellen. Alle anderen Zellen das Blutes oder Knochenmarkes, die bei der Entnahme mit gewonnen werden (reifere weiße Blutzellen, Lymphozyten, rote Zellen, Blutplättchen) müssen "herausselektioniert" werden. Nach der besonderen Bearbeitung des Transplantates ist es zusätzlich erforderlich, die immunsuppressive Therapie und damit die Prophylaxe der Abstoßungsreaktionen (GvHD und HvG) intensiver zu gestalten. Gefährliche Komplikationen treten gehäuft auf, die Regeneration des Immunsystems verzögert sich, um nur einige Probleme zu nennen, die nach haploidentischer Transplantation auftreten.

Zusammenfassend folgt, daß es wenigstens zwei alternative Transplantationsverfahren gibt: die Nabelschnurbluttransplantation und die haploidentische Transplantation. Das ist sicher eine Bereicherung der Möglichkeiten, Patienten zu helfen; insbesondere dann, wenn kein passender Spender in der Familie oder in den Spenderdateien gefunden wird. Die alternativen Transplantationsverfahren stellen einen weiteren Schritt in der erfolgreichen Therapie von bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems dar. Beide Methoden haben aber ihre Grenzen. Bei der Nabelschnurbluttransplantation ist das in erster Linie die zu geringe Zahl der zur Verfügung stehenden Stammzellen, bei der haploidentischen Transplantation ist das ein erhöhtes Risiko, an einer GvHD zu erkranken. Die Forscher und Ärzte der Welt sind gefordert, neue Lösungen zu finden; damit die Diagnose "Leukämie" in der Zukunft in die Kategorie "heilbar" eingeordnet werden kann.

Autor: Dr. Wolfgang Blau, Oberarzt an der Klinik für Knochenmarktransplantation und Hämatologie/Onkologie GmbH, Idar-Oberstein

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